2008 Bachchor Mainz: Hanns Eislers „Deutsche Sinfonie“ zum Tag der Deutschen Einheit

Musik klagt Kriege an
Mainzer Rheinzeitung, von Andreas Hauff, 06.10.2008
Beeindruckendes Erlebnis:
Hanns Eislers „Deutsche Sinfonie“ zum Tag der Deutschen Einheit

bachchor

Vom Titel her passt die „Deutsche Sinfonie“ zum Tag der Deutschen Einheit, auch wenn es sich eher um eine Kantate handelt. Dass sie von Hanns Eisler (1898-1962), dem Komponisten der DDR-Nationalhymne, stammt, muss nicht stören.
18 Jahre nach der Wiedervereinigung sind die ideologischen Grabenkämpfe (wie einst in Mainz um Anna Seghers) Vergangenheit. Und dass Eisler und seine Musik von den Nationalsozialisten verfolgt und diffamiert wurden, macht das Konzert von Bachchor und Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in der Christuskirche zum geeigneten Auftakt für die kritische Präsentation der Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“ (ab 17. Oktober im Rathaus).
Eisler begann im Exil die Komposition in Gedanken an die Gefangenen in deutschen Konzentrationslagern. Nach dem Krieg weitete er die Perspektive aus: Der eindringliche, nachkomponierte
Epilog bezieht auch deutsche Soldaten ein.
So kann man die „Deutsche Sinfonie“, wie Reinhard Bertram, Vorsitzender des Bach-Vereins, zur Begrüßung sagte, als grundsätzliche „Anklage gegen Hass und Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung“ verstehen. Die von Stephan Bootz verlesenen Zwischentexte von Leo Karl Gerhartz unterstrichen diese
Perspektive.

Eisler war freilich auch Marxist, und in den vertonten Texten steht das Wort „Klassenkampf“. Die Arbeiterbewegung aber, für die der Komponist schrieb, gibt es nicht mehr, und der muntere Klang
der kämpferischen Schalmeienkapellen, den die Holzbläser zitieren, ist verstummt. Damit geht auch der utopische Gehalt verloren, der sich hinter den schlagwortartigen Parolen verbirgt. Die Musik wirkt
hoffnungsloser, als sie gemeint war, und gibt diesem 3. Oktober ein dunkles Gesicht. Gründliche Probenarbeit und intensive Klangentfaltung rundeten sich in der Christuskirche zum beeindruckenden Erlebnis, an dem die Solisten Gerhild Romberger (Mezzosopran), Klaus Häger (Tenor) und Peter Lika (Bass) großen Anteil hatten.
Dennoch hätte Eisler sich die Gesangspartien wohl nüchterner, den Chor zupackender und den Orchesterpart durchsichtiger gewünscht – und Wert auf das Zitat der Arbeiterhymne „Die Internationale“ gelegt.
Heute fällt dieser Zugriff schwer, zumal es keine Aufführungstradition gibt. Am spannendsten wurde der
Abend dort, wo man Doppelbödigkeit spürte: In den „Flüstergesprächen“, deren Anklage sich nicht nur auf das
Nazi-Regime, sondern auch auf die stalinistische Sowjetunion und auf die gern humanitär begründeten Kriege in Jugoslawien, Irak und Afghanistan beziehen lässt. Oder an den eigenartigen Stellen, die wie Mahler klingen, als ob Eisler einem verlorenen Idyll nachträumte. So nahm der Hörer Fragen mit – und außerdem Respekt vor dem Mut der Ausführenden, sich an dieses schwierige Werk zu wagen.

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