„Konflikte können diplomatisch gelöst werden, davon ist Clemens Ronnefeldt überzeugt und reist in dieser Mission in Spannungsgebiete. Jetzt ist er mit dem Peter-Becker-Preis der Universität Marburg ausgezeichnet worden. Seine Botschaft: Man muss an den Ursachen ansetzen.“ schrieb die Süddeutsche Zeitung und druckte ein Interview mit dem Preisträger.
Bei diesen Reisen wurde Clemens Ronnefeldt mehrfach finanziell durch die Sczech-Stiftung unterstützt. Deshalb war die Freude groß, als die Nachricht von der Preisverleihung eintraf.
Rede von Clemens Ronnefeldt anlässlich der Preisverleihung des Peter-Becker-Preises am 20.1.2017 in Marburg
Sehr geehrte Frau Krause, sehr geehrte Frau Buckley-Zistel,
sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Kanzler,
lieber Peter Becker, liebe Mitglieder der Jury, liebes Auditorium,
zunächst möchte ich Dir, lieber Ulrich (Duchrow), ganz herzlich für deine Laudatio danken.
Es war zuletzt Mitte November 2016, als ihr beide, Maximiliane und Johannes, mich zu einem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung und am nächsten Tag zu einem Nahost-Forschungsseminar an die Universität Marburg eingeladen habt.
Dass ich heute erneut als Preisträger des Peter-Becker-Preises eingeladen bin, erfüllt mich mit großer Freude.
Ebenfalls freut mich, dass die Präsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes IFOR (die Abkürzung für: International Fellowship of Reconciliation), Frau Davorka Lovrekovic, und der Präsident des deutschen Zweiges, Herr Ullrich Hahn und seine Frau Eva sowie der Vorsitzende des deutschen Zweiges, Berthold Keunecke, gekommen sind.
Ich möchte gerne einige Bilder zeigen, von denen ich annehme, dass sie im Zusammenhang meiner heutigen Ehrung stehen.
Vor mehr als 30 Jahren hat mich die Friedensarbeit auf dem Hunsrück am Cruise-Missile-Stationierungsort Hasselbach geprägt.
In den 90ger Jahren konnten wir mit vielen Menschen zusammen das Leid von Kriegsopfern auf dem Balkan lindern, mit Zivildienstleistenden in Flüchtlingslager in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien neue Lebensfreude bringen.
Als wir im November 1990 in Bagdad waren, sagte uns eine Krankenschwester bei der Entgegennahme von Medikamenten: „Euer Besuch ist für mich wie frischer Tau in der Wüste“.
Auf dem Höhepunkt der 2. Intifada im April 2002 reisten wir mit einer IFOR-Delegation nach Israel und Palästina, die von unserer Ehrenpräsidentin Dr. Hildegard Goss-Mayr geleitet wurde. Wir besuchten u.a. Erzbischof Michel Sabbah in Jerusalem, der kurz zuvor in Bethlehem in der Geburtskirche eine Gruppe von eingeschlossenen bewaffneten Palästinensern durch Verhandlungen davor bewahrt hatte, entweder ausgehungert oder beim Verlassen der Kirche erschossen zu werden. Mich beeindruckte damals, dass es offenbar selbst in ausweglos scheinenden Situationen Möglichkeiten der zivilen Konfliktlösung gibt.
2005 nahm ich als europäischer Vertreter an einer Delegation des US-Versöhnungsbundes nach Iran teil. Wir trafen u.a. eine Frauenorganisation, deren mehr als 5000 Frauen sich für Umweltschutz und erneuerbare Energien einsetzen.
In Teheran besuchten wir die größte jüdische Gemeinde und sprachen in der Synagoge mit dem jüdischen Parlamentsabgeordneten Dr. Maurice Motamed.
Zwei Mitglieder unserer Delegation waren jüdische US-Staatsbürger, die von Dr. Motamed für ihren Mut gewertschätzt wurden, auf der Suche nach Verständigung und der Abwendung von Militärschlägen gegen Iran die weite Reise aus den USA auf sich genommen zu haben.
Ich bin überzeugt, dass solche zivilgesellschaftlichen Initiativen des Brückenbauens oder auch Städtepartnerschaften den Boden mit dafür bereiten können, dass auf höherer politischer Ebene leichter Konflikte zwischen Staaten gelöst werden können.
In Palästina beeindruckt mich die Arbeit der Versöhnungsbund-Organisation „Holy Land Trust“. Mein Kollege Marwan Fararjeh baut mit betroffenen Familien und Freiwilligen zerstörte palästinensische Häuser wieder auf.
In unserem IFOR-Zentrum „Wi`am“ – arabisch für „Herzensverbindung“ – wird traditionelle arabische Mediation sowie Gemeinwesenarbeit für Frauen und Jugendliche angeboten.
Dem Internationalen Versöhnungsbund gehören heute rund 100 000 Mitglieder in mehr als 40 Staaten der Erde an. Sechs Friedensnobelpreis-träger_innen sind seit 1914 aus unserem Verband hevorgegangen, darunter Mairéad Corrigan und Dr. Martin Luther King jr.
2012 besuchten wir mit einer IFOR-Delegation den Botschafter des Vatikan in Kairo und informierten uns über die zunehmend gefährlichere Lage der rund zehn Prozent koptischen christlichen Minderheit in Ägypten.
Im März 2016 reiste ich mit einer Gruppe der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung“ unter Leitung von Dr. Gisela Penteker und Mehmet Bayval u.a. nach Ankara, Diyarbakir und Cizre.
In Ankara trafen wir den zu fünf Jahren Haft verurteilten Cumhyriet-Journalisten Erdem Gül, der zusammen mit seinem Kollegen Can Dündar wahrheitsgemäß über türkische Waffenlieferungen an Dschihadisten in Syrien berichtet hat.
Starke Nerven brauchten wir, als wir durch Cizre gingen – einer kurdischen Hochburg, die wenige Tage vor unserer Ankunft unter schweren Beschuss der türkischen Armee geraten war.
Seit vielen Jahren sehe ich eine meiner Aufgaben darin, in deutschsprachigen Ländern jenen Personen in Artikeln und bei Veranstaltungen eine Stimme zu geben, die wegen ihres Einsatzes für Gerechtigkeit, Frieden und Menschenrechte unterdrückt werden.
Aktuell ist es mir ein Herzensanliegen, darauf hinzuweisen, dass im Schatten des Syrien- und Irak-Krieges auch andere Menschen, die Opfer von Gewalt z.B. in kurdischen und palästinensischen Gebieten oder im Jemen werden, unsere öffentliche Wahrnehmung und Solidarität benötigen.
Meine bisher größte Herausforderung war im Jahre 2011 zusammen mit dem Journalisten Andreas Zumach die Moderation einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten mit 27 Teilnehmenden aus Israel, Palästina, Türkei, Syrien, Jordanien, Irak, Iran, und Kuweit.
Nachdem alle Teilnehmenden ihre Projekte vorgestellt hatten, bildeten wir länderübergreifende Querschnittsgruppen zu den Themen Wasser und erneuerbare Energie, Friedenserziehung, interreligiöser Dialog und eine massenvernichtungswaffenfreie Zone.
Zunehmend beschäftigt mich auch die Frage, wie die Konflikte und Kriege der von mir bereisten Region im globalen Zusammenhang zu sehen sind.
Vielen Menschen ist bewusst, dass das 2-Grad-Erderwärmungsziel bis zum Jahre 2050 nur eingehalten werden kann, wenn 80 Prozent aller weltweit bekannten Vorräte an Öl, Gas und Kohle in der Erde verbleiben.
Konzepte wie Postwachstums- und Gemeinwohlökonomien, Bioregionalismus und das „Lassen“ jener Handlungen, welche die Lebenschancen anderer Menschen und zukünftiger Generationen mindern, sind überzeugend – aber noch wenig umgesetzt.
Einfach leben, damit andere einfach überleben, Teilen statt Töten, den mit Überfluss gefüllten Tisch länger statt Zäune höher machen – diese Botschaften bei immer enger werdenden Spielräumen umzusetzen, wird eine politische und geistige Herausforderung werden.
Schon jetzt freue ich mich darauf, am 17. Februar 2017 bei der Internationalen Münchner Friedenskonferenz u.a. Prof. Harald Welzer zu diesen Fragen moderieren zu dürfen.
Der heutige Amtsantritt von Donald Trump, der Amerika wieder groß machen möchte, erscheint mir als historische Zäsur.
Wie wird sich das Verhältnis zwischen NATO, USA und Russland weiter entwickeln?
„Mein Gott, wenn mich jetzt mein Opa sehen könnte! Der war vor 75 Jahren auch schon einmal hier“, sagt der Bundeswehr-Soldat auf einer Karikatur an der russischen Grenze.
Bei mir war es mein Vater, der noch an Hitlers Russland-Feldzug teilgenommen hat.
„Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ – diese Botschaft könnte nicht aktueller sein.
Je mehr Gewalt ich in meinem Leben gesehen habe, desto rationaler und überzeugender wurden für mich die Bergpredigt, Gewaltverzicht und Feindesliebe, wie sie Jesus, Gandhi, Martin Luther King jr. und viele andere Frauen und Männer gelehrt und gelebt haben.
Voraussetzung für dieses Handeln ist für mich die Integration meiner Schattenseiten als Beginn aller Friedensarbeit.
Trotz Klimaausgleichszahlungen belastet mich meine persönliche Ökobilanz.
Ich hoffe, dass die Umweltzerstörungen durch meine Reisen am Ende aufgewogen werden können durch das Konstruktive, was ich bewirkt habe.
Am Ende meiner Rede möchte ich denen danken, die mich auf meinem Weg bisher begleitet und geprägt haben:
Meinen verstorbenen Eltern, meinen beiden Beratern bei der Kriegsdienstverweigerung, Joachim Dietermann und Michael Germer, Dr. Marshall Rosenberg, meinen Professoren Johannes Beutler, Medard Kehl und Friedhelm Hengsbach an Jesuiten-Hochschule in Frankfurt, Dr. Hildegard Goss-Mayr, Dr. Christine Schweitzer und dem verstorbenen Prof. Andreas Buro für die Zusammenarbeit bei der Dossier-Reihe „Zivile Konfliktbearbeitung“, meinen Reiseleitungen und Dolmetschern, unserem langjährigen Vorsitzenden und Präsidenten, Ullrich Hahn, dem Vorstand des Versöhnungsbundes und meinen beiden Kolleginnen in der Geschäftsstelle.
Mein Dank geht auch an den Versöhnungsbund insgesamt, der mir seit 25 Jahren diese Arbeit ermöglicht.
Ganz besonders danke ich Peter Becker für die Stiftung des Preises und den Personen, die für meine Auswahl als Preisträger votiert haben.
Meiner Familie möchte ich danken, dass ihr mir den emotionalen Rückhalt gibt, mich für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung unserer bedrohten Schöpfung einzusetzen.
Ich danke Ihnen und Euch für die Aufmerksamkeit.
Pressemitteilung: Philipps-Universität würdigt Friedens- und Konfliktforschung