Schüler*innen, Azubis, Studierende und junge Menschen aus Mainz gingen am 18. Januar 2019, ein Freitag, auf die Straße um gegen die Klimapolitik zu streiken. Nach dem Vorbild der schwedischen Schülerin und Aktivistin Greta wollen sie auch hier in Deutschland eine starke SchülerInnenbewegung für den konsequenten Klimaschutz und somit direkt im Interesse unser aller Zukunft aufbauen.
Bericht im SWR Mainz.
Nick Reimer schreibt dazu in klimafakten.de unter der Überschrift
„Warum sollen wir lernen für eine Zukunft, die es vielleicht gar nicht mehr gibt?“
Seit einigen Monaten gehen weltweit Jugendliche freitags nicht in die Schule, sondern auf die Straße und fordern mehr Klimaschutz – so auch heute in Berlin und anderen deutschen Städten. Formiert sich da eine neue Bewegung? Und warum sorgt die Aktionsform „Klimastreik“ für Aufsehen?
Sie wollen es am heutigen Freitag wieder tun: Etliche Schülerinnen und Schüler werden um 12 Uhr mittags nicht die Schulbank drücken, sondern vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin mehr Klimaschutz fordern und dann demonstrierend zum Bundeskanzleramt ziehen. #FridayForFuture lautet das Motto, und den Kern ihrer Aktion bringen sie in wenigen Worten auf den Punkt: „Warum sollen wir lernen für eine Zukunft, die es vielleicht gar nicht mehr gibt?“
Es ist nicht der erste Schülerprotesttag gegen die Klimaerhitzung, vor einer Woche sollen es rund 25.000 junge Menschen gewesen sein, die landesweit die Schulen bestreikten. In Niedersachsen und Bremen zählte die Polizei 3.500 Streikende, auch in Freiburg waren es nach Polizeiangaben 3.500. Würzburg, Augsburg, Hamburg meldeten je 1.000 Protestierende, in München zogen 750 Schüler zum Geschwister-Scholl-Platz, in Berlin 500 vor das Reichstagsgebäude, in Jena 130 zum Holzmarkt. Mehr als 50 deutsche Städte meldeten Schülerstreiks.
Diesmal haben die Protestler Busse nach Berlin gechartert, aus Köln zum Beispiel, aus Offenbach, dem Saarland, aus Marburg. „Wir kommunizieren über eine Art Schneeballsystem, meist über WhatsApp“, erklärt die Geographiestudentin Luisa Neubauer, 22, die die heutige Demonstration vor dem Bundeswirtschaftsministerium angemeldet hat. Drinnen wird währenddessen die Kommission zum Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverstromung tagen. „Wir erinnern die Mitglieder an ihre Verantwortung für unser aller Zukunft“, sagt Tariel Leiss, 18, von der Freiburger Waldorfschule St. Georgen. Oder um es mit einem Demo-Slogan auszudrücken: „Wir streiken, bis ihr handelt!“
Die Klimastreiks starteten mit der 15-jährigen Schwedin Greta Thunberg
Begonnen haben die Klimastreiks vor knapp einem halben Jahr, am 20. August 2018. Es war der erste Schultag des neuen Schuljahres in Schweden, und Greta Thunberg, 15, ging nicht zur Schule. Sie malte auf ein Schild „Skolstrejk för klimatet“ und stellte sich vor den schwedischen Reichstag: „Schulstreik für das Klima“. Dort blieb sie bis zum 9. September, dem Tag der schwedischen Parlamentswahlen.
Es war der heißeste Sommer, den Schweden seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen erlebte. Greta blieb nicht lang allein. Aber weil Schule ja doch irgendwie wichtig ist, ging Thunberg nach den Wahlen wieder zur Schule – verabredete sich mit den anderen Klimademonstranten für die kommenden Freitage. „Fridays for Future“ war geboren.
Der Schwedische Protest sprach sich – unter anderem – per Instagram, Twitter und Co. schnell herum: Im November traten in Australien Schülerinnen und Schüler in den Ausstand. Matt Canavan, Australiens Minister für Ressourcen, riet den Jugendlichen, lieber in die Schule zu gehen als herauszufinden, wie man von der Sozialhilfe leben kann: „Man lernt nichts vom Demonstrieren!“ Er erntete einen Shitstorm. Am folgenden Freitag streikten doppelt so viele Schüler. Weltweit breitete sich die Aktionsform aus – nach Irland, Uganda, die Schweiz, Ende November Dezember dann auch nach Deutschland. Und als Greta Thunberg auf dem UN-Klimagipfel in Katowice zu den Delegierten sprach, berichteten Medien rund um den Globus. „Euch gehen die Entschuldigungen aus, und uns die Zeit.“
„In Deutschland ist der Klimastreik vor allem ein Protest gegen die Kohle“
Inzwischen hat die Liste der Regionalgruppen auf der deutschen Kampagnenwebsite mehr als hundert Einträge. Wächst da eine neue Bewegung heran? „An sich ist das Format des Bildungsstreiks nicht neu“, sagt Jana Bosse vom Arbeitskreis Umwelt und Protest des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. Die Forscherin erinnert etwa an das Jahr 2009, als im Juni und November Schüler und Studenten zu Hunderttausenden auf die Straße gingen und Reformen am Bildungssystem forderten. Größeres Aufsehen erregten auch Schülerstreiks gegen den Irakkrieg 2003.
Wie es in Deutschland mit dem Klimastreik weitergeht, hängt nach Bosses Einschätzung stark vom Ergebnis der Kohlekommission ab: „Gelingt es ihr, einen die Gesellschaft befriedenden Kompromiss zu finden, verliert der Protest vermutlich an Kraft.“ Weltweit kann sie sich durch die internationale Vernetzung einiges an Dynamik vorstellen – aber, so Bosse, „in Deutschland ist der Klimaprotest der Schüler in erster Linie ein Protest gegen die Kohle.“
Ihren Kollegen Dieter Rucht wundert es nicht, dass der Schülerstreik größeres Aufsehen erregt als andere Klima-Kampagnen – der Schlüssel sei das Alter der Protestierenden. „Ich glaube, wenn Greta Thunberg 30 Jahre alt wäre, wäre sie unbekannt“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. „Ein sehr junger Mensch, dem man die Politikfähigkeit noch abspricht, äußert sich politisch, das findet Anklang.“ Andere Jugendliche klinkten sich ein, aber bald auch Medien und Öffentlichkeit.
Der Streik verletzt die Schulpflicht – und sorgt auch deshalb für Aufsehen
Eine Rolle dürfte auch spielen, dass Schulstreiken eine Regelverletzung darstellt – Demonstrationen am Nachmittag oder an Wochenende würden sicherlich weniger interessieren. Freitags um zwölf vor dem Wirtschaftsministerium zu stehen ist ein Verstoß gegen die Schulpflicht, bereits der Aufruf zum unentschuldigten Fernbleiben vom Unterricht gilt als Ordnungswidrigkeit. Der Jugendverband des Umweltverbandes BUND empfiehlt daher: „Bitte lasst Euch zur Teilnahme an der Demonstration vom Unterricht befreien.“
Aber das ist nicht so einfach. „Grundsätzlich kann eine kurzfristige Beurlaubung auf der Grundlage der Verwaltungsvorschriften-Schulbetrieb aus wichtigem persönlichem Grund auch anlässlich einer Demonstration in Betracht kommen“, erläutert ein Sprecher des Brandenburger Bildungsministeriums etwas gestelzt. „Andererseits darf das ebenfalls hohe Gut der Teilnahmepflicht am Unterricht nicht zur Disposition demonstrationsfreudiger Schüler gestellt werden.“
Auf die Schülerinnen und Schüler, die sich heute mittag vor dem Wirtschaftsministerium versammeln, könnte daher eine Strafarbeit zukommen oder ein Verweis. „Wer den Unterricht schwänzt oder unentschuldigt fernbleibt, verstößt gegen die Schulpflicht. Punkt“, fasst Thomas Sattelberger, der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, die Rechtslage zusammen. Aber eine gewisse Sympathie für die klimastreikenden Schüler kann auch er nicht verhehlen. „Ich habe übrigens früher selbst am Gymnasium in Stuttgart für Demos die Schule geschwänzt und musste dafür nachsitzen“, erinnert sich Sattelberger. „Das schärft auch die Urteilsfähigkeit, wenn es um das Abwägen eigenen Handelns und der Konsequenzen geht. Es hat mir, wie es so schön heißt, nicht geschadet.“
Quelle: klimafakten.de
Rede des Schülers Maurice Conrad am Mainzer Schillerplatz: